Barbara Sturm. Still life I Loud drawing to annoy the neighbours Bleistift und Radiergummi 120 x 85 cm 2010 |
Als ich auf die andere Straßenseite gehe, fällt mir ein, dass ich den Handwerker mit seinen grell blondierten Haaren und in seinem leuchtend blauen Overall hätte fotografieren sollen. Ich bin mittlerweile so was von eingeschüchtert, dass ich da gar nicht darauf gekommen bin. Zurück gehen? Das rede ich mir aus, indem ich annehme, dass der Handwerker bestimmt ein Schwarzarbeiter ist und es deshalb unmöglich ist, ihn zu fotografieren: in flagranti! Dass ich darauf komme, hat natürlich mit dem Knecht-Text zu tun, den ich mittags entworfen habe. Einzelheit, die ich nicht unterbringen konnte: Einer der Stammgäste, die vor 24 Uhr kommen, hasst Bob Dylan und Bayern München. Arbeitet beim Finanzamt, macht Betriebsprüfungen, ist Beamter und wahrscheinlich ein ganz scharfer Hund. Hockt da zwei-, dreimal die Woche und wird bedient von dem Mann, der seit 26 oder 29 Jahren schwarz arbeitet. Der Mann vom Finanzamt weiß das wahrscheinlich, und wenn nicht, kann er es sich denken, weil so ein Laden gar nicht anders zu führen ist als halbillegal.
Ein Stück weiter auf der anderen Straßenseite befindet sich die Galerie von Tanja Wagner. Die hat auch Galerieferien und ich fotografiere die Textkunst (text-based art) im Schaufenster.
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Natalie Czech Il pleut ... Foil letters, marker 200 x 110 cm 2011 |
Als ein alter Mann von links ins Bild kommt, trete ich einen Schritt zurück, um ihm Platz zu machen. Der Mann ist so schwach, dass es ihm nicht gelingt, sich mit einem freundlichen Gesicht dafür zu bedanken. Keine Ironie. Der Mann hat einen kalkweißen Teint, als würde er den größten Teil des Tages im Bett verbringen und nur aufstehen, um sich eine Tütensuppe zu machen und einmal am Tag um den Block zu gehen. Wenn er das nicht mehr kann, ist er so gut wie tot. Noch geht es, wenn er alle paar Meter innehält, um sich zu erholen. Ein junger Mann kommt vorbei gejoggt. Das ist jetzt überinszeniert, wird aber trotzdem genommen von mir. Als ich die Beine des alten Mannes fotografieren will, macht er gerade eine Pause. Ich will ein Bild, wie er einen Fuß vor den anderen setzt. Ich warte, bis er sich wieder bewegt. Dabei kriege ich eine Vorstellung davon, wie lang die Pausen sind, die er machen muss.
Wenn mich meine Ansicht zu den Bilderrahmen langweilt, und im Grunde tut sie das jetzt schon, könnte ich das zu meiner nächsten Extrem-Ansicht machen: Wenn ein Bild einen Titel braucht, stimmt schon mal was nicht.